Nervige Nachbarn kennen wir alle. Aber wer hat schon Nachbarn, die 2 bis 3 Tonnen wiegen, einen Rüssel haben und die Massen von Urin und Dung produzieren, die dann durch die Decke in die eigene Wohnung fallen? Genau dieser unglaubliche Fall trug sich zu, als im 18. Jahrhundert ein Elefant in der Old Town von Schottlands Hauptstadt Edinburgh einzog.
Inhalt
- Der Ort des Geschehens
- Wie der Elefant nach Edinburgh kam
- Erste Probleme treten auf
- Selly verendet auf einer Reise
- Selly dient der Wissenschaft
- Quellen und Links
Der Ort des Geschehens
Wer schon einmal in Edinburgh war, kennt die Altstadt, die Old Town, die auf demselben langgezogenen Hügel liegt, auf dem sich auch prominent die Burg befindet.
Hier befindet sich das alte Herz der Stadt. Der Platz auf dem Hügel war sehr begrenzt. Deshalb musste man mehr Wohnraum schaffen. Und das tat man, indem man in die Höhe baute. So erhielt Edinburgh die ersten Hochhäuser Europas mit bis zu elf Etagen. Manche Quellen berichten sogar von 15 Etagen. Eine Meisterleistung der damaligen Baukunst!
Genau in einem dieser Häuser, in der Nähe des Fleshmarket Close, zog 1703 ein Elefant ein. Ein Close ist übrigens einer der schmalen Fußwege, die von der Royal Mile auf dem Hügelrücken, die Seiten hinunter, zwischen den Häusern und mitten hindurch führen. Einen Namen hatte diese Elefantendame leider nicht. Ich nenne sie einfach mal Selly.
Wie der Elefant nach Edinburgh kam
Bis der Elefant Selly in Edinburgh ankam, hatte sie bereits ein unglückliches Leben führen müssen. Jedenfalls aus unserer heutigen, tierschutzorientierten Sicht.
Das erste Mal ausgestellt wurde sie im Jahr 1688 auf einer Messe in Leipzig, als sie etwa zehn Jahre alt war. In den nächsten 20 Jahren reiste sie durch halb Europa. Sie war in Deutschland, den Niederlanden, Italien, Polen, der Schweiz und Frankreich. Zeitweise wurde sie von einem „Afrikanischen Dschungel-Esel“ begleitet. Man vermutet heute, dass es sich dabei um einen Mandrill oder ein Erdferkel handelte. Außerdem war ein weiteres mysteriöses dreibeiniges Tier dabei. Die drei waren also praktisch eine Art Wanderzirkus oder Kuriositätenkabinett.
Im Jahr 1701 kam sie schließlich nach London, bis ihr Besitzer Bartel Verhagen 1703 starb. Laut Testament erbte sie sein Assistent Jan Janszoon , der Selly aber gleich weiter an einen Abraham Sever vermietete. Dieser nahm sie mit nach Edinburgh, wo sie ab dann bei ihm wohnte.
In einem Zeitungsartikel des Herald Scotland schrieb die Autorin dann 2019 dazu den passenden Witz:
„Wie bekommt man einen Elefanten die Treppe hinauf? Ganz vorsichtig natürlich!“
Vermutlich musste Selly aber nicht die schmalen, hölzernen Treppen nach oben steigen, sondern sie kam wohl ebenerdig hineinkam weil das Haus am Hang lag. Dennoch ist es beeindruckend, dass die Decke das Gewicht ausgehalten hat. Die Häuser wurden schließlich nicht für eine solche Belastung der Zwischendecken geplant.
Erste Probleme treten auf
Das Ganze scheint zwei Jahre lang gut gegangen zu sein, denn erst 1705 wird aktenkundig, dass der Bäcker Adam Kerr eine empörte Beschwerde an die Stadtverwaltung schrieb. Er führte an, dass Dung und Urin von der Wohnung über ihm seine Vorräte und Produkte verschmutzen würden. Er schloss seine Beschwerde mit der dringenden Bitte an den Rat, selbst alles in Augenschein zu nehmen und „den besagten Elefanten” zu entfernen. Er schrieb in seinem Brief:
Ich, Adam Kerr Baxter, ehrenwerter Bürger der Stadt Edinburgh beschwere mich hiermit höflichst über Abraham Sever, dem niederländischen Besitzer des Elefanten, der dort, wo ich einen Laden und einen Ofen betreibe, am höchsten Punkt des Fleshmarket Closes, mit einem Lagerraum zum Süden hin.. der eben diesen Elefanten in seiner Wohnung hält und diese mit seinem Dung und Wasser verunreinigt, so dass dieses auf mein besagtes Lager fällt und dass es eben dies verdreckt.. und verdirbt die Waren.
Im Gegenzug beantragte Sever beim Stadtrat, dass er seinen Elefanten behalten und in Edinburgh vorführen dürfe. Die Stadt Edinburgh musste sich nun also zwischen Sauberkeit und Ordnung einerseits und einer spektakulären Touristenattraktion andererseits entscheiden.
Und wie ging die Geschichte wohl aus?
Natürlich erhielt er die Genehmigung der Stadt und zeigte seine Selly den interessierten Bürgerinnen und Bürgern. Natürlich gegen klingende Münze.
In den drei Jahren, in denen Sever mit Selly zusammenlebte, verdiente sie für ihn 7.603 Gulden. Zum Vergleich: Der Durchschnittslohn eines Arbeiters in den Niederlanden betrug damals etwa 200 Gulden pro Jahr. Sever war mit den erzielten Einnahmen jedoch nicht zufrieden und wollte mehr. Er wollte weiter in Schottland herumreisen und Geld mit ihr verdienen.
Selly verendet auf einer Reise
Und so brach er 1706 im tiefsten Winter mit Selly zu einer Reise nach Aberdeen auf. Die Kälte und Mangelernährung setzen ihr aber leider so zu, dass sie kurz vor Erreichen des Ziels in einem Graben verendete. 🙁
Für Sever war ihr Tod natürlich ein finanzielles Desaster.
Selly dient der Wissenschaft

Gleichzeitig bedeutete er jedoch einen massiven Karriereschub für den Anatom, Botaniker und Chirurgen Dr. Patrick Blair. Er konnte sein Glück kaum fassen, eine solch einzigartige Gelegenheit zu erhalten.
Er zerlegte den Kadaver Stück für Stück, während alles in detaillierten Zeichnungen festgehalten wurde. Laut dem Bericht von Blair hatte Selly eine Höhe von 8 Fuß (2,40 m) und eine Länge von 10 Fuß (3 m). Ein Gesamtgewicht wurde nicht ermittelt, aber es ist vermerkt, dass allein die Knochen 312 Pfund (141 kg) wogen.
Die Untersuchung der inneren Organe und des Skeletts brachte Blair Ruhm und Anerkennung auf höchster Ebene ein. Anschließend veröffentlichte er einen langen wissenschaftlichen Artikel bei der Royal Society in London.
So wurde Selly nach ihrem Tod noch weit über die Grenzen Edinburghs und Schottlands bekannt.
Über die Geschichte von Selly habe ich bereits in der Podcastfolge 5 Kuriose Fakten – Teil 1 gesprochen.
Quellen und Links
- Beitragsbild: commons.wikipedia.org –
- en.wikipedia.org – Old Town, Edinburgh
- edinburghlive.co.uk – Edinburgh’s peculiar case of the elephant kept as a pet in an Old Town tenement vom 27.06.2021
- heraldscotland.com – The elephant in the room – an Edinburgh story vom 04.07.2019
- de.wikipedia.org – Erdferkel
- de.wikipedia.org – Mandrill
- de.wikipedia.org – Asiatischer Elefant
- commons.wikipedia.org – Skizze des Elefantenskeletts
- en.wikipedia.org – Patrick Blair
- de.wikipedia.org – Royal Society